Konzept zur Prävention sexualisierter Gewalt
Ein sicheres Miteinander gestalten – Das Schutzkonzept der DAV Sektion Tübingen
Verantwortung, Vertrauen und Gemeinschaft – das sind zentrale Werte im Deutschen Alpenverein. Gerade in einem lebendigen Verein wie der Sektion Tübingen, in dem sich viele Mitglieder engagieren, bewegen, lernen und gemeinsam unterwegs sind, kommt diesen Werten eine besondere Bedeutung zu. Wo viele Menschen zusammenkommen, braucht es Strukturen, die Orientierung geben – insbesondere beim Schutz von Kindern, Jugendlichen und anderen schutzbedürftigen Personen.
Mit dem Schutzkonzept zur Prävention von Grenzverletzungen – insbesondere sexualisierter, aber auch anderer Formen – hat sich die DAV Sektion Tübingen 2023 auf den Weg gemacht, genau solche Strukturen zu schaffen. Ziel war es, ein Konzept zu entwickeln, das Sicherheit, Sensibilität und Handlungskompetenz fördert – und das sowohl im Alltag als auch in besonderen Situationen tragfähig ist.
Warum ein Schutzkonzept?
Der Schutz vor Grenzverletzungen – ob in Form unangemessener Nähe, übergriffiger Sprache, Machtmissbrauch oder sexualisierter Übergriffe – ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die auch im Vereinskontext eine wichtige Rolle spielt. Nähe, Vertrauen und Gemeinschaft sind tragende Säulen unseres Miteinanders, doch genau in solchen Beziehungsstrukturen können auch Grenzen überschritten werden.
Der Prozess der Entstehung
Im Sommer 2023 fasste der Sektionsvorstand den Beschluss, ein umfassendes Schutzkonzept zu entwickeln. Eine Arbeitsgruppe übernahm diese Aufgabe und entwickelte die Inhalte über mehrere Monate hinweg in enger Zusammenarbeit mit externen Fachstellen – insbesondere der Beratungsstelle „Aufwind“, die auf den Schutz vor Grenzverletzungen an Kindern und Jugendlichen spezialisiert ist.
Das Ergebnis ist ein Konzept, das aus mehreren Bausteinen besteht und sich an alle richtet, die in unserer Sektion aktiv sind: Kinder und Jugendliche, Eltern, Trainerinnen, Jugendleiterinnen und weitere Ehrenamtliche.
Die fünf Bausteine des Schutzkonzepts im Überblick
1. Führungszeugnisse & Selbstverpflichtung
Alle Personen, die in der Kinder- und Jugendarbeit tätig sind, müssen ein aktuelles erweitertes Führungszeugnis vorlegen. Für ehrenamtlich Engagierte im Erwachsenenbereich mit Kontakt zu Minderjährigen, bedarf es einer Selbstverpflichtungserklärung. Beide Maßnahmen dienen der Prävention und schaffen eine transparente Grundlage für das gemeinsame Handeln.
2. Verhaltenskodex
Ein gemeinsam entwickelter Verhaltenskodex formuliert klar und verständlich, welches Verhalten im Vereinskontext erwartet wird – und welches nicht akzeptiert werden kann. Er ist ein Instrument zur Orientierung, um respektvolle Kommunikation, achtsamen Umgang und das Wahrnehmen persönlicher Grenzen zu fördern – unabhängig davon, ob diese verbal, emotional oder körperlich überschritten werden.
3. Beschwerdemanagement
Ein zentraler Bestandteil des Schutzkonzepts ist ein transparentes und niedrigschwelliges Beschwerdesystem. Es ermöglicht Betroffenen und Beobachtenden, sich sicher und vertraulich an benannte Ansprechpersonen zu wenden – egal ob es um unangemessenes Verhalten, unklare Situationen oder konkrete Übergriffe geht. Der Ablauf ist klar geregelt, nachvollziehbar dokumentiert und wird regelmäßig überprüft. Externe Beratung unterstützt zusätzlich bei sensiblen Fällen.
4. Schulung & Sensibilisierung
Ein Schutzkonzept lebt durch Information und Aufklärung. Deshalb sieht das Konzept ein strukturiertes Schulungsprogramm vor:
- Ab 2025 muss in jeder Jugendgruppe mindestens eine leitende Person geschult sein.
- Diese Regelung gilt auch für alle Ausfahrten mit Teilnehmenden unter 18 Jahren.
- Innerhalb der nächsten drei Jahre sollen alle Jugendleiter*innen, Trainer*innen und Helfer*innen eine Schulung zur Prävention von Grenzverletzungen durchlaufen.
Die Schulungen vermitteln Wissen über Grenzachtung und deren Bedeutung in der pädagogischen und ehrenamtlichen Arbeit. Sie stärken die Wahrnehmung von grenzüberschreitendem Verhalten – ob physisch, verbal oder emotional – und vermitteln Sicherheit im Umgang mit schwierigen Situationen.
5. Vertrauenspersonen-Team
Eine Besonderheit unseres Schutzkonzepts ist das bewusst als Team strukturierte Vertrauenspersonenmodell. Das Team steht allen Mitgliedern – Kindern, Jugendlichen, Eltern, Betreuenden und Interessierten – als erste Anlaufstelle zur Verfügung, wenn es um Unsicherheiten, Fragen oder konkrete Vorfälle geht.
Die Aufgaben des Teams sind unter anderem:
- Vertrauliche Ansprechbarkeit: Zuhören, unterstützen und ggf. an geeignete Fachstellen weitervermitteln.
- Prävention und Sensibilisierung: Präsenz auf Veranstaltungen und in Gruppen, um das Thema im Bewusstsein zu halten.
- Begleitung von Prozessen: Unterstützung bei Unsicherheiten, Konflikten oder konkreten Vorkommnissen.
- Dokumentation und Austausch: Strukturierte Nachvollziehbarkeit und regelmäßige Teamabstimmungen zur Qualitätssicherung.
Das multiprofessionelle Team sorgt dafür, dass jederzeit jemand erreichbar ist – und dass sich niemand mit einem Anliegen allein gelassen fühlen muss.
Ein Konzept in Bewegung – bewusst nicht „abgeschlossen“
Auch wenn das Schutzkonzept Ende 2024 in seiner Grundstruktur stand: Es ist kein abgeschlossenes Projekt, sondern ein kontinuierlicher Prozess. Vereinsleben verändert sich, neue Herausforderungen entstehen, neue Perspektiven kommen hinzu. Deshalb wird das Schutzkonzept regelmäßig überprüft, weiterentwickelt und ergänzt.
Ein nächster konkreter Schritt ist 2025 die Analyse unserer Angebote in der Kinder- und Jugendarbeit. Gemeinsam mit Jugendlichen, Ehrenamtlichen und Leitungspersonen sollen konkrete Situationen reflektiert und praxistaugliche Schutzmaßnahmen weiterentwickelt werden.
So bleibt das Konzept lebendig, aktuell und an den tatsächlichen Bedürfnissen orientiert – vergleichbar mit einer gut geplanten Bergtour: Die Route mag klar sein, doch die Bedingungen können sich ändern. Dann braucht es Anpassung, Umsicht und manchmal auch die Entscheidung, neue Wege zu finden. Wichtig ist, dass alle gut vorbereitet sind – und gemeinsam sicher am Ziel ankommen.
Ein gemeinsames Anliegen
Das Schutzkonzept der DAV Sektion Tübingen ist Ausdruck einer Haltung: Wir übernehmen Verantwortung. Wir setzen auf Prävention, Information und gelebte Achtsamkeit. Und wir schaffen eine Kultur, in der Nähe nicht zu Grenzverletzung führt, sondern zu Vertrauen, Gemeinschaft und Sicherheit.
Für Kinder und Jugendliche: Es gibt Ansprechpersonen und Strukturen, auf die Verlass ist.
Für Eltern: Ihre Kinder sind bei uns gut aufgehoben.
Für ehrenamtlich Engagierte: Ihr erhaltet Unterstützung und Orientierung.
Für die Sektion: Es ist ein starkes Zeichen für Integrität.
Danke
Ein großes Dankeschön geht an alle Mitglieder der Konzeptgruppe. Für eure Energie, eure Offenheit, euer Durchhaltevermögen und auch für eure Geduld, wenn’s mal länger dauerte. Für viele Stunden Denkarbeit, für Gespräche, Aha-Momente, den einen oder anderen Knoten im Kopf – und den festen Willen, ein richtig gutes Konzept auf die Beine zu stellen.
Michael Groh