Bericht der Umweltgruppe vom Februar 1996 im "AKUT" Nr. 21

Das Bergschaf - Feinschmecker und Trampeltier

Tiroler Bergschaf Bild von Axel Mauruszat

Weil Schafe ein schmales Maul haben und die Pflanzen tiefer abbeißen als Rinder, erreichen sie so manchen Leckerbissen auch noch zwischen Felsbrocken und Hochstauden.

Ein Schaf ist bei entsprechendem Nahrungsangebot sehr wählerisch. Abgestorbene Pflanzenteile verschmäht es, angewelkte Blätter gehen noch durch. Schlecht schmeckende Arten (z. B. Thymian, Gamander, Minze, Wolfsmiclhgewächse) und behaarte Pflanzen meidet es. Unbeliebtes, versehentlich doch mit abgerupft wird wieder ausgespuckt, z. B. das Alpen-Fettkraut. Bereits mit der Entscheidung für einen Weideplatz trifft das Schaf eine Vorauswahl im Pflanzenbestand. Optischer Eindruck (dunkelgrüne Bestände und verkotete Flächen schrecken ab), Hungergefühl und das Verhalten der Artgenossen sind wichtige Kriterien. Während Rinder mehr büschelweise vorgehen, fressen Schafe häufig und gezielt einzelne Pflanzen. Die Beliebtheit verschiedener Arten nimmt ungefähr in folgender Reihe ab: Kräuter/Rosettenpflanzen > breitblättrige Gräser > Schmalblättrige Gräser > Seggen > Zwergsträucher.

 

Wenn sich im Laufe der Vegetatiosnzeit das Futterangebot erhöht, weiden die Schafe nur noch die besseren Flächen ab und wählen dort besonders eiweiß- und mineralstoffreiche Pflanzenteile aus. Da junge, zarte Pflänzchen sehr schmackhaft sind, werden die bereits im Frühsommer besuchten Stellen öfter beweidet. Auf bevorzugten Flächen halten sich die Tiere so lange auf, bis die Nahrung knapp wird. So werden manche Bereiche permanent überweidet, andere dagegen vernachlässigt. Dieses unregelmäßige Abweiden führt mit der Zeit dazu, dass sich der Anteil an über und unterbeweideten Flächen vergrößert. Bei Futterknappheit nehmen die Feinschmecker gezwungenermaßen auch Arten an, die sie sonst links liegen lassen würden.

 

Auch die Lage der Weideplätze spielt eine wichtige Rolle: Windzugige und steile Flächen sind besonders günstig. Bergschafe weiden immer mit bergwärts gerichtetem Kopf, damit sie das Futter bequem erreichen, ohne den Kopf zu stark senken zu müssen. Auf diese Weise tendieren die Schafe in Richtung Oberhang, und der Wanderer findet sie schließlich in den Gipfellagen.

 

Als Faustzahl für die tägliche Nahrungsaufnahme eines Schafes gelten (max.) 2 kg Trockenmasse. Einen Teil seines Futterbedarfs deckt es mit sog. „zäher Äsung“,gemeint sind Gehölze. Durchschnittlich 20 Schafe verbeißen so viel Gehölzpflanzen wie ein Stück Rotwild. Im Gegensatz zum Rind kommt ein Schaf auf Dauer ohne Trinkwasser aus. Es kann seinen Durst auch am morgendlichen Tau des Weidegrases stillen!

 

Intensive Schafbeweidung verwandelt die Zusammensetzung der Vegetationsdecken, denn verschiedene Pflanzenarten vertragen diesen Einfluss unterschiedlich gut: Bestimmte Arten nehmen zu, andere verschwinden völlig. Nach einiger Zeit dominieren Pflanzen, die dank einer oder mehrerer der folgenden Eigenschaften das große Fressen überlebt haben: giftig, dornig oder stachelig; weniger als 5 cm hoch; hart und zellulosereich, schnellwüchsig und aussamend. Die Waldschädlichkeit der Schafbeweidung ist nachgewiesen. Die Verbissschäden durch Schafe an jungen Bäumchen addieren sich in den Waldweidegebieten zu den Schäden durch das Schalenwild.

 

Schafdung hat einen höheren Nährstoffgehalt als der des Rindes. Die starke Düngewirksamkeit gleicht bei intensiver Beweidung ursprüngliche Standortunterschiede aus: Artenreiche alpine Rasengesellschaften gehen in eine artenarme Alpen-Fettweide über. An Geländeverebnungen und Vertiefungen sowie im Umfeld von Almhütten, Ställen und Tränken kommt es zu einer örtlich erhöhten Düngung, weil sich dort alle gealpten Tiere gerne aufhalten. Hier findet man die typische Läger: Flora mit Alpen-Ampfer, Alpen Greiskraut und Brennnessel. Weil Schafe, Ziegen und Gemsen (im Gegensatz zu Rindern) auch zum Lagern exponierte Stellen bevorzugen, bilden sich dort sog. Hochschläger bzw. Balmen aus. Der Aspekt dieser Flora ändert sich vom Frühjahr bis zum Herbst stärker als die eigentliche Lägerflur. Auf steilen Schutthängen entsteht in der Regel keine Lägerflur, weil die Nährstoffe schnell ausgewaschen werden und nachrutschendes Geröll wieder neue Ausgangsbedingungen schafft. Der Auftritt des Schafes kann verschiedene Auswirkungen haben, denn es spielen geologische, bodenspezifische und klimatische Faktoren eines Gebietes genauso eine Rolle wie die Haltungsform. Ein positiver Effekt der „Trippelwalze“ Schaf ist, dass die Grasnarbe und die obersten Zentimeter des Bodens gefestigt werden. Je nach Bodenart und Zustand kann die Trittbelastung aber auch zur Bodenverdichtung führen: Die Poren, die für die Durchlüftung des Bodens wichtig sind, nehmen ab und die Versickerung von Wasser wird schwieriger. Die Feinwurzeln der Pflanzen können den verdichteten Boden nicht mehr richtig durchdringen und die Aktivität der Mikroorganismen im Boden geht zurück. Hier können schwere Schafe wie das Bergamasker oder Oberwalliser mehr Schaden anrichten als kleinere Rassen.

 

Direkte Trittschäden an der Vegetation kommen vor allem bei harten, trockenen Böden vor. Auf weichen, feuchten Böden leidet mehr das Bodengefüge. Besonders empfindlich sind tiefgründige, bindige Böden, z. B. auf Flysch (im Allgäu) oder auf alpinen Fettweiden in Gratlagen. Die Trittbelastung durch Schafe konzentriert sich auf die vielgegangenen, meist vegetationslosen Pfade. Sie verlaufen grundsätzlich quer zum Hang und werden nur bei Beunruhigung verlassen. So ergibt sich das typische, hangparallele Streifenmuster aus Trittspuren und Weidevegetation. Bei der Entstehung von Erosion (Bodenabtrag) wird dem Schaf eine größere Rolle zugemessen als dem Rind. Sein Tritt kann die Wiederbegrünung bereits erodierter Stellen erheblich behindern. Auf Steilhängen ist der Narbenversatz durch die sehr bewegungsfreudigen Bergschafe eine wichtige Erosionsursache: In der Gipfelregion lösen sie kleine Schäden aus – hier bildet z.B. die Wuchsform der Polster-Segge einen geeigneten Angriffspunkt für die Klauen von Schaf (und Gamswild). Unter Beteiligung von Wind und Wetter können diese dann zu großflächigen Erosionsherden verschmelzen. Besonders verheerend wirken sich Bodenanrisse auf schiefriger, mergeliger oder Geröllunterlage aus. Schafe hemmen aber auch Erosion! Die durch Weide kurzgehaltene Vegetation (einst auch durch Bergmahd) verringert die Schurfwirkung des Schnees, es werden weniger Rasenschollen herausgerissen und damit sog. Blaiken verhindert. Überjährige Gräser auf nicht mehr beweideten Steilflächen dagegen können als Lawinengleitschicht wirken.

 

Es ist deutlich geworden, dass Schafbeweidung im Gebirge Schäden verursacht. Das Ausmaß reicht von (für den Laien) kaum erkennbaren Veränderungen bis zur Zerstörung der Vegetation und des Bodenprofils. Die Frage nach der Weideverträglichkeit stellt sich bei natürlichen Pflanzengemeinschaften (z.B. Polsterseggenrasen) ganz anders als bei solchen, die erst durch den Einfluss den Menschen und seiner Schafe entstanden sind (z. B. Schafalmen oder die Wacholder Heiden auf der Schwäbischen Alb). Letztere können in ihrer Besonderheit auch nur durch Schafbeweidung erhalten werden. Die ständige Gefahr einer lokalen Überweidung kann mit einer gezielten Weideführung und sorgfältiger Betreuung vermieden werden. Die Hütehaltung ist die weitaus schonendste Form der Weidenutzung.

 

Aber wer macht`s? Wie oft treffen wir auf Bergwanderungen auf eine Schafherde und wie oft auf einen Hirten? Der unterbezahlte Hirten-Job ist längst nicht mehr gefragt und häufig nur noch Illusion von Romantikern. Hier greifen zunehmend finanzielle Fördermittel, z. B. im Rahmen von Kulturlandschaftsprogrammen.