Tourenbericht Nordic

Kinästhetische Sensationen

Winterspaß im Engadin  01.02.-07.02.2020

 

Warum fährt seit vielen Jahren eine Gruppe Schneesportler des DAV Tübingen nach Sils im Engadin zum Winterspaß? Die Zahl der Interessenten hat zugenommen und die Leiter der Ausfahrt (Hans Reibold und Karl Leonhardt) haben keine Mühen gescheut, um auch noch den Letzten auf der Warteliste eine Teilnahme zu ermöglichen.

DAV-Bus und Privatautos, vollbepackt mit diversen Schneesportgeräten und Ausrüstung samt Gitarre, setzen die 22 Teilnehmer und Leiter am Nachmittag nach der Ankunft in Sils im Engadin neben der Loipe ab. Jeder soll sich nach eigenem Gusto in die Gleitbewegungen und die herrliche Engadiner Landschaft einfühlen. Die Klassikski kratzen auf der eisigen Loipe über den Silvaplanasee. Ein wirklich guter Abdruck ist kaum möglich und ein flottes Vorwärtskommen funktioniert nur mithilfe des Doppelstockschubs. Das ist zu anstrengend, denke ich. Da ruft‘s von hinten, „... geh in die Knie, dann hast du mehr Kraft beim Stockschub“. Das ist Hans. Gleich am ersten Tag nimmt er seine Aufgabe uns zu unterweisen ernst. Also ich – in die Knie – und Schub - und da ist sie - die kinästhetische Sensation – meine Skier flitzen über die Loipe und ich bin begeistert.

Wir sind untergekommen im bewährten Silserhof mit seiner phänomenalen Lage, 100 m entfernt von der Loipe, und mit einem großen Gruppenraum für uns. Hier versammeln wir uns allabendlich, um den Tag Revue passieren zu lassen und uns auf die Aktivitäten des nächsten Tages zu einigen. Dazu präsentieren und interpretieren uns Hans und Karl den Wetterbericht samt Strömungsverhältnissen (der Luft).

Jeden Morgen noch vor dem ausgiebigen Frühstück leitet uns Hanne an, die am Vortag strapazierten und über Nacht starr gewordenen Gelenke und Muskeln mittels ausgefeilter Yogaübungen zu mobilisieren. Und jeden Morgen noch vor dem Sprung in die Loipe dirigiert Karl das Warming-up im Schnee mit und ohne Skier an den Füßen, aber mit Musik.

Bevor die Klassikläufer in elegantem Diagonalschritt und die Skater mit kraftvollen Schlittschuhschritten dahinziehen, braucht es noch ein paar Übungen, die uns Hans, Karl und Jörg in der jeweiligen Langlauftechnik beibringen. Das Gleichgewicht zu halten gelingt sowieso, die Gleitphase hält immer länger an und der Körper freut sich, denn er hat ein effizientes Bewegungsmuster gefunden. Die kinästhetische Sensation ist gelungen. Das ist Winterspaß im Engadin!

So schön das weite Inntal auch ist und das Gleiten über die Seen ganz leicht erscheint (sofern der Wind von hinten schiebt), so sehr zieht es jeden von uns auf Erkundung in die Seitentäler.

Die Klassikläufer starten in Pontresina zu einem Ausflug ins wildromantische Val Roseg. Die Loipe steigt kontinuierlich an und wir genießen das lange Laufen durch Lärchen- und Arvenwälder. Je weiter die Läufer ins Val Roseg vorstoßen (7,2 km und 235 Hm), um so imposanter wird der Blick auf die beiden Protagonisten Piz Roseg und Piz Bernina mit Biancograt (sofern die Wolken den Blick freigeben).

Skater und sportliche Klassikläufer sind unterwegs ins idyllische Val Fex. Die zehn anspruchsvollen Kilometer beginnen mit einem knackigen Anstieg durch den Wald. Dank gutem Training findet jeder seinen Rhythmus und wird Teil einer berauschenden Natur. Angekommen am Plaun Vadret (Gletscherebene) entdeckt Peter oben auf dem Bergrücken Muott‘ Ota fünf Skitourengeher.

Das sind die fünf Langlaufabtrünnigen (angeführt von Karl), die ihr Glück auf Tourenskiern suchen und eine Abfahrt in sumpfigem Schnee erleben. Ein Winterspaß im Engadin?

Die Höhepunkte (im wahrsten Sinne des Wortes) unseres Winterspaßes erleben wir bei schönstem Wetter zum Schluss.

Ein fröhliches Häufchen Langläufer hat seine Skier gegen Schneeschuhe eingetauscht und startet zur grandiosen Tour auf Muottas Muragl.

An der Bergstation der Standseilbahn angekommen ist jeder überwältigt vom Ausblick dieses Logenplatzes des Engadins. Er reicht vom Bergell über die zugefrorenen Engadiner Seen bis hin zum Dreigestirn des Piz Palü mit der Bellavista-Gletscherterrasse und schließlich zum Piz Bernina mit dem Biancograt. Beginnend auf dem Philosophenweg betritt die Gruppe selbst die Bühne und wandert, angeführt von Hans, auf dem bequemen Schneeschuhtrail immer die herrliche Bergkulisse vor Augen. Winterspaß im Engadin!

Für Karl, Judith, Sybille und mich bleibt es bei der Sensation des Gleitens. Bis es aber so weit ist, steht uns ein Aufstieg von 980 Hm auf den Piz Lunghin (2780m) bevor. Der Piz Lunghin bildet eine dreifache Wasserscheide zwischen Nordsee, Schwarzem Meer und Mittelmeer. Nach einem steilen und vor allem für Karl anstrengenden Anstieg (er spurt durch tiefen Schnee) machen wir Rast am Innursprung am Lunghinsee. Wir Frauen schonen unseren Bergführer und übernehmen nun abwechselnd die Spurarbeit. Noch drei Spitzkehren am 35 Grad steilen Hang und wir erreichen das Skidepot am Grat. Zu Fuß steigen wir die letzten Höhenmeter auf den Gipfel, der uns eine herrliche Rundumsicht bietet: Bergell, Bernina, Engadiner Seenplatte …

Und jetzt kommt es. Die Abfahrt durch pulvrigen Tiefschnee am steilen Nordhang: die Schwünge gelingen im Rhythmus – das Schnaufen macht mit – das Bewegungsgefühl ist überwältigend. Kinästhetische Sensation beim Winterspaß im Engadin!

 

Dank an unsere Leiter Hans, Karl und Jörg und an einen Haufen fröhlicher Genießer.

Monika Holzäpfel

Bilder: Hans Reibold, Monika Holzäpfel u.a.