Tourenbericht Moutainbike
Von Flows, Marmor, Höhenmeter und mehr - Sahne-Trails im Vinschgau
Zehn Zentimeter Neuschnee am Madritschjoch, Eiseskälte und Dauerregen. So sieht das Wochenende im Obervinschgau aus, bevor wir es unter die Stollen nehmen. Eine Woche später können wir am Freitagmittag bei sonnigen 28 Grad zu einer ersten Tour am Prader Nördersberg starten - Glück gehört eben auch zum Bikerleben. Die knapp 1.000 Höhenmeter Auffahrt vergehen wie im Flug, denn es bleibt keine Zeit, um an schmerzende Beine zu denken. Alle Radler – das sind Susanne, Rolf, Helmut, Kurt und Rita - haben die Aufgabe, verschiedene Dinge über die Mitreisenden herauszufinden. So ist spätestens an der Oberrauscheralm jedem klar, wer welche Hobbies pflegt, welche Lektüre jeder bevorzugt oder mit welchen Marotten man rechnen muss. Gute Voraussetzungen für ein entspanntes Miteinander während der nächsten Tage.
Der Samstag beginnt nach einem echten Verwöhn-Frühstück in unserer komfortablen Pension mit entspanntem Einrollen auf der berühmten Via Claudia. Bei Laas ist Schluss mit der Gemütlichkeit und von nun an geht es stetig bergauf, immer im Zeichen des Marmorabbaus. Erst kommt der Blick auf das imposante Marmorwerk in Laas, dann der immer heller und schimmernder werdende Schotterbelag und schließlich der beeindruckende Marmorabbruch von Göflan. Dort wird seit jeher ein Marmor allerfeinster Qualität abgebaut und unter großem Aufwand ins Tal gebracht. Selbst die Meilensteine der Via Claudia Augusta waren aus diesem Marmor. Wie mühsam der Transport bergab früher war, ist eindrucksvoll an nachgebauten Holzrutschen ersichtlich. Heute wird der Marmor mit Diamantsägen aus dem Berg geschnitten und per LKW und Schrägaufzug gen Tal befördert.
Nachdem wir uns an Marmorblöcken sattgesehen haben, ist der Magen immer noch leer, folglich ist die Göflaner Alm mit ihren köstlichen Knödeln unsere nächste Station. Die Stärkung ist auch nötig, denn das anstrengende Sahne-Highlight des Tages steht noch bevor, die Abfahrt über den epischen Holy Hansen Trail. Dieser angelegte und gepflegte Trail zieht sich über tausend Höhenmeter den Berg hinab und befriedigt das Bikerherz von flowig bis technisch. Mal flüssig zu fahren, mal knifflig mit Absätzen, Wurzeln, Steinen und steilen Passagen und vor allem: Nie langweilig. Die Bremsbeläge finden kaum Entlastung und höchste Konzentration ist gefordert. In Göflan im Tal grinst ein jeder von uns über das ganze Gesicht und wir sind uns einig: „Das war gar nicht schlecht“. Die einstündige Rückfahrt nach Prad auf dem Radweg wird uns versüßt mit einer netten Einkehr und vor allem durch jede Menge Rückenwind.
Der Sonntag wird alpin. Auf dem Programm steht ein weiteres Sahne-Schnittchen, die Überquerung des über 3.100 m hohen Madritschjoch, auf dem der Schnee vom letzten Wochenende längst geschmolzen ist. Ausschlafen wird überbewertet, daher sitzen wir um 8 Uhr bereits im Sattel und erreichen über die Vellnair-Alm den bekannten Wintersportort Sulden. Wo im Winter die Skifahrer hochgeliftet werden, da profitieren im Sommer die Wanderer und Biker, so dass die nächsten 600 Höhenmeter sehr kräfteschonend per Gondel zurückgelegt werden können. Danach ist wieder ordentlich Eigenleistung, meist schiebend, hinauf zum Joch nötig. Die Welt der noch bestehenden und der bereits geschmolzenen Gletschermasse ist eine imposante Kulisse, insbesondere der mächtige König Ortler sowie Cevedale und Zufallspitze beherrschen das Panorama.
Die Abfahrt beginnt ebenfalls mit einer Schiebepassage, doch dann wird der Weg zunehmend fahrbar und sogar flowig und spuckt uns schließlich unterhalb der Zufallhütte auf einem rustikalen Schotterweg aus. Immer weiter geht es bergab, mal Teer, mal Schotter, mal Trail. Als wir schließlich den Bahnhof in Goldrain erreichen, liegen zweieinhalb Stunden Abfahrt hinter uns, dazu 1.800 Höhenmeter bergauf und mehr als 50 gefahrene Kilometer. Da wir gerade zeitgleich mit dem Zug im Bahnhof von Goldrain einrollen und keine Zeit bleibt für den Ticketkauf, erlaubt uns der Zugführer das Einsteigen ohne Ticket – Schwabenherz was willst Du mehr...
Auch der letzte Tag gehört zur Crème de la Crème der Mountainbike-Szene: Der Goldseetrail. Vom Stilfserjoch schlängelt er sich am Hang entlang auf ausgesetzten Pfaden. Damit es auf dem engen und heiklen Weg zu keinem Konflikt mit Wanderern kommt, dürfen Mountainbiker den ersten und viel begangenen Abschnitt nur früh morgens oder spät nachmittags befahren. Wir lassen uns also in aller Frühe mit einem Bus-Shuttle zum Stilfserjoch befördern und starten dort unser Abfahrts-Abenteuer – mit einem Anstieg zur Dreisprachenspitze. Was dann folgt,ist zunächst ein Flowtrail erster Güte, nur erschwert durch die Ausgesetztheit des Weges, so dass alle Konzentration dem Fahren gilt. Bewundernde Blicke auf den benachbarten König Ortler oder die in den Hang gegossene Stilfserjochstrasse gibt es in den Haltepausen. Später wird der Trail kniffliger und steiniger und nach 1 ½ Stunden haben wir die Furkelhütte erreicht, wo uns neugierige Jungkühe erwarten.
Ohne große Pause geht es weiter, bergauf/bergab im Wechsel, zur Stilfser Alm, wo wir uns den einzigartigen Kaiserschmarrn redlich verdient haben. Die Stärkung ist nötig, denn der Weiterweg enthält wenig Flow, dafür viel Auf und Ab, sowohl in Höhenmetern als auch runter vom Bike und rauf auf's Bike. Die Zeit rast und die Kräfte schwinden, so dass wir den letzten Trail auslassen und statt dessen den Schotterweg nach Glurns hinunterrollen und schließlich über den Via Claudia Radweg wieder alle sicher und wohlbehalten Prad erreichen. Die abschließende Dusche im Freibad weckt die Lebensgeister und die Konzentration für die lange Heimfahrt.
Rückblickend lecken sich alle noch die Zunge sowohl nach den Sahne-Trails als auch nach dem guten Essen. Was bleibt ist eine wunderbare Erinnerung an herrliche Berg- und Bikestunden, gemeisterte Hindernisse, viel Schweiß, Wetterglück und ein harmonisches und rücksichtsvolles Bike-Team.
Rita Lewandowski
Bilder: Rita Lewandowski und Rolf Mammel